Drucksache - 2022/0402
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Sachverhalt:
Einleitung:
Die Versorgung der Einwohnerinnen und Einwohner und ortsansässigen Unternehmen mit Energie – und damit auch Erdgas – ist eine Aufgabe der verfassungsrechtlich (Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz) geschützten kommunalen Selbstverwaltung.
Dabei haben die Gemeinden grundsätzlich einen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum, allerdings unterliegt die mit dieser Versorgung im Zusammenhang stehende wirtschaftliche Betätigung erheblichen gesetzlichen Schranken und zieht eine Fülle rechtlicher Schwierigkeiten und Fallstricke nach sich.
Regelmäßig befinden sich die Verteilernetze leitungsgebundener Energieversorgung im öffentlichen Eigentum (Straßenuntergrund) und damit haben die Gemeinden ein natürliches Monopol bezüglich des örtlichen Versorgungsnetzes.
Damit haben sie auch erhebliche Steuerungsmöglichkeiten bei der örtlichen Energieversorgung.
Somit nehmen die Gemeinden eine marktbeherrschende Stellung ein und daher sind die Regelungen des Wettbewerbsrechts – insbesondere die Verhaltensverbote bei marktbeherrschenden Unternehmen nach § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - ebenso zu beachten wie kartellrechtliche, vergaberechtliche und energiewirtschaftsrechtliche Vorgaben. Insbesondere das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) beinhaltet wesentliche Vorschriften für das Verfahren.
Die Energiewende stellt zusätzliche Herausforderungen und der von Energieunternehmen durchweg umkämpfte Erdgasmarkt stellt an die Korrektheit, Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Gesamtverfahrens nochmals besondere Anforderungen.
In den nächsten Jahren wird durch dirigistische Maßnahmen des Gesetzgebers der Brennstoff „Heizöl“ mehr und mehr vom Markt verschwinden, bereits nach der jetzt geltenden Rechtslage dürfen Ölheizungen ab 2025 nur mehr sehr eingeschränkt neu installiert werden.
Somit werden in den nächsten Jahren Millionen alter Ölheizungsanlagen durch auch in der Anschaffung günstigere Gasheizungen ersetzt werden und somit gewinnt die Energie “Erdgas“ eine erheblich stärkere wirtschaftliche Bedeutung - dies mit wirtschaftlich höchst interessanten Gewinnaspekten und daher hart bandagierten Wettbewerbsmechanismen -.
Der Besitz des dazu erforderlichen Netzes bedeutet auch „Lieferung von Erdgas“ und zumindest (ebenfalls) Generierung von Durchleitungsgebühren/Netzentgelten.
Bereits jetzt sei erwähnt, dass die Gemeinden ohne wesentliche eigene Betätigung für das Netz im Straßenuntergrund erhebliche Konzessionseinnahmen erzielen, siehe dazu die weitergehenden Erläuterungen an späterer Stelle.
Das nachfolgend beschriebene Verfahren gliedert sich im Wesentlichen in 4 Teilbereiche,
- die Ausschreibung des Konzessionsvertrages - ausschließlich im
elektronischen Bundesanzeiger – initiiert das Interessebekundungsverfahren. Dadurch können entsprechende Unternehmen ihr Interesse an der Nutzung öffentlicher Verkehrswege bzw. dem Abschluss des dazu erforderlichen Wegenutzungsvertrages (Konzessionsvertrag) bekunden und haben dazu (§ 46 Abs. 3 und 4 EnWG) mindestens 3 Kalendermonate Zeit,
- die Erstellung und Festlegung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung (§ 46 Abs. 4 EnWG),
- das Auswahl- und Vergabeverfahren mit möglichen Rüge-, Präklusions- und Gerichtsverfahren (§ 47 EnWG) sowie
- den Abschluss des Konzessionsvertrages u.a. mit Vereinbarungen über die an die Gemeinde zu zahlenden Konzessionsabgaben (§ 48 EnWG) mit max. 20-jähriger Laufzeit (§ 46 Abs. 2 EnWG).
1. Die Ausschreibung und deren Bekanntmachung
Der Konzessionsvertrag „Gas“ mit dem ZVO endet am 17. August 2024, nach § 46 Abs. 3 EnWG macht die Gemeinde dies spätestens 2 Jahre vor Ablauf des Vertrages sowie ihre Absicht, einen neuen Vertrag abzuschließen, im Bundesanzeiger bekannt.
Diese Bekanntmachung dient der Eröffnung des Wettbewerbes um die Konzession, der erste Schritt ist die Bekundung des Interesses einschlägiger Unternehmen. Dazu veröffentlicht die Gemeinde örtliche Strukturdaten (zu versorgende Einwohnerzahl und die zu versorgende Fläche). Das interessierte Energieunternehmen muss zum Ausdruck bringen, dass es sich um einen Wegenutzungsvertrag bewerben möchte.
Später muss es dann ein den Kriterien der Gemeinde (siehe oben, Pkt. 2) erarbeitetes und entsprechendes Angebot und einen konkreten Vertragsentwurf vorlegen. Dazu benötigt es die Netzdaten (technische und wirtschaftliche Situation des Netzes), die der jetzige Betreiber – die ZVOE – zur Verfügung stellen muss.
Die Begriffe „Wegenutzungsvertrag“ und „Konzessionsvertrag“ beschreiben den gleichen Gegenstand und werden synonym verwendet.
Diese Bekanntmachung ist an sich nicht problematisch, die Folgen von Bekanntmachungsfehlern sind gesetzlich nicht geregelt. Ob und in welchen Fällen eine „nur“ fehlerhafte Bekanntmachung welche Folgen hat, ist bislang nicht geklärt. Nur wenn eine Gemeinde im falschen Medium die Ausschreibung veröffentlicht und einen Vertrag mit einem Energieunternehmen eingeht, wäre dieser Vertrag mangels Wettbewerb nichtig.
Zudem sieht das EnWG in § 47 Abs. 1 und 2 vor, dass Fehler in der Bekanntmachung in einer bestimmten Frist zu rügen sind. Versäumen mögliche Interessenten diese Rüge, können sie sich später nicht mehr auf Fehler berufen.
Insgesamt ist das Ausschreibungs- und Bekanntmachungsverfahren in diesem Stadium an sich aber nicht sonderlich fehlerfähig.
2. Die Festlegung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung
Die Festlegung der Auswahlkriterien, deren Gewichtung und die Bewertungsmethode sind die entscheidenden Weichenstellungen für das weitere Verfahren. Bereits festgelegte Kriterien können im laufenden Verfahren aus Transparenzgründen nicht mehr geändert werden, bilden die Grundlage für die spätere Auswahlentscheidung und auch den rechtlichen Ansatzpunkt unterlegener Interessenten bei Wettbewerbsverfahren.
Die Gemeinden verfügen bei der Aufstellung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung (Bepunktung) über einen Beurteilungsspielraum, sind allerdings über § 46 EnWG an die Ziele des § 1 EnWG gebunden, diese Ziele sind vorrangig zu berücksichtigen.
Zwar können auch Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Berücksichtigung finden (§ 46 Abs. 4 Satz 2 EnWG), allerdings existieren weder in Rechtsprechung noch Literatur Angaben darüber, um was es sich dabei genau handelt.
Denkbar ist allerdings – wenngleich für die Gemeinde Heringsdorf nicht zutreffend -, dass es bei Gemeinden, die noch kein Netz haben, von Bedeutung sein kann, in welcher Zeit ein Energieversorger ein solches Netz überhaupt errichtet.
Fest steht auch, dass örtliche Bewerber über dieses Merkmal nicht bevorzugt werden dürfen.
Insgesamt empfiehlt sich bei Kriterien „der örtlichen Gemeinschaft“ und den dafür zu vergebenden Punkten starke Zurückhaltung.
Die o.a. erwähnten Ziele des § 1 EnWG sind Sicherheit, Preisgünstigkeit, Verbraucher-
freundlichkeit, Effizienz, Umweltverträglichkeit und Erneuerbare Energien.
Zunächst ist eine Klärung und summarische Erörterung dieser Begriffe geboten.
a. Sicherheit (der Versorgung)
Bislang hat sich ein einheitlicher Begriff nicht durchgesetzt, einerseits umgreift „Sicherheit“ aber eine mengenmäßig ausreichende, nachhaltige und zuverlässige Versorgung der Energieabnehmen.
Technisch betrachtet beinhaltet „Sicherheit“ auch die Ungefährlichkeit der Erzeugungs-, Transport- und Verteilungsanlagen für Menschen und Sachen, dazu ein einem bestimmten Standard entsprechender Netzbetrieb.
Eine Rolle spielen auch die Erfahrung als Netzbetreiber, Personalausstattung,
Ausfallzeiten und -dauer sowie Störungsmanagement.
Nach Auffassung des BGH (Urteil vom 17.12.2013, KZR 66/12, Rz 84) ist die Netzsicherheit als überragendes Ziel angemessen und damit mit mindestens 25% der möglichen Gesamtpunktzahl zu gewichten.
b. Preisgünstigkeit (der Versorgug)
Dieser Begriff umfasst nicht das Interesse der Gesamtheit der Verbraucher an preisgünstiger Energie (das wäre ein Aspekt der Sozialverträglichkeit), vorherrschendes Merkmal ist hier der Wettbewerb an sich, Wettbewerbspreise erfüllen in aller Regel das Gebot der Preisgünstigkeit.
Zu bewerten sind Begriffe wie die zu erwartende Höhe und Struktur der Netznutzungs-entgelte sowie die Anschlusskostenbeiträge, ggf. auch Baukostenzuschüsse.
c. Verbraucherfreundlichkeit (der Versorgung)
Das Ziel der verbraucherfreundlichen Versorgung ist im Falle der Optimierung der zuvor genannten Ziele – einschließlich der noch zu besprechenden Umweltverträglichkeit bereits weitgehend erfüllt.
Einen eigenständigen Mehrwert hat dieses Ziel durch Verbraucherschutz allgemein, also etwa Betrieb und Erreichbarkeit von Kundencentern in örtlicher Nähe, kurze Reaktionszeiten bei Störungen sowie Service vor Ort (Büro-, Telefon- und Internetservice, Beschwerdemanagement).
d. Die Effizienz (der Versorgung)
Die Effizienz ist in § 3 Nr. 15 b des EnWG definiert.
Danach sind Effizienzmaßnahmen solche zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Energieaufwand und damit erzieltem Ergebnis im Bereich von Energieumwandlung, Energietransport und Energienutzung.
Schlauer ist man damit zwar nicht wirklich, aber Aspekte der Kosten- und Energieeffizienz spielen schon eine Rolle. Dennoch darf in der Gesamtschau der Ziele des § 1 EnWG der Gesichtspunkt der Effizienz derzeit nicht überbewertet werden.
Künftig wird jedoch dieser Aspekt bei der Ressourcennutzung, bei der Entwicklung intelligenter Netze vor Ort und der Gewinnung neuer Energieformen eine weit stärkere Rolle spielen.
e. Umweltverträglichkeit (der Versorgung)
Dieser Begriff ist – wie auch Effizienz – in § 3 Nr. 33 EnWG definiert. Er beinhaltet Anforderungen an dem nachhaltigen, insbesondere rationellen und sparsamen Umgang mit Energie, dies ergänzt um die Aspekte Ressourcen- und Umweltschonung sowie
erneuerbare Energien (siehe unten).
Jedenfalls muss nach Ansicht des BGH (a.a.O.) das Ziel der Umweltverträglichkeit eine entsprechende Gewichtung und Berücksichtigung finden und würde mit 10 von 100 der Gesamtpunktzahl bewertet und kann dazu noch binnendifferenziert werden.
f. Erneuerbare Energien
Der Zusatz „...die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht“ in § 1 EnWG ist sowohl nach allgemeinem Sprachverständnis als auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift generell auf die Versorgung gemäß den zuvor genannten Zielen bezogen.
Soweit kann dieser Aspekt bei den einzelnen Zielen dann berücksichtigt werden, soweit ein Bezug zum Netzbetrieb besteht.
Nach § 3 Nr. 18 b des EnWG sind erneuerbare Energien solche, die in § 3 Nr. 21 Erneuerbare-Energien-Gesetz genannt sind, u.a. Energie aus Wasserkraft, solare Strahlungsenergie, Windenergie und Energie aus Biomasse, mithin auch Biogas, was allerdings zur Einspeisung in ein Erdgasnetz noch aufbereitet werden muss.
„Erneuerbare Energien“ sind kein für sich bestehendes sechstes Ziel des EnWG, werden aber für Erdgasnetze in Zukunft eine stärkere Bedeutung haben – etwa bei der Produktion von Wasserstoff aus Windstrom, dieser Wasserstoff kann dann in ein Erdgasnetz eingespeist werden -.
Nicht auf die Konkretisierung der Ziele des § 1 EnWG bezogene Aspekte
Zwar sind die Ziele des EnWG vorrangig zu berücksichtigen und aus Rechtssicherheitsgründen mit 75 von 100 der Gesamtpunktzahl zu bewerten, daraus ergibt sich aber auch, dass Kriterien berücksichtigt werden können, die nicht auf § 1 EnWG bezogen sind.
Hauptsächlich ist dies die Höhe der Konzessionsabgabe, schließlich „vermarktet“ die Gemeinde als marktbeherrschender Anbieter die kommunalen Wegerechte und ist daher daran interessiert, dafür einen möglichst hohen Preis zu erzielen.
Allerdings ist diese Konzessionsabgabe nach § 2 der Konzessionsabgabenverordnung (KAV) auf einen Höchstsatz begrenzt und auch mögliche Nebenleistungen sind in § 3 KAV abschließend genannt, es sind dies Gemeinderabatte für den Eigenverbrauch und die Vergütung von zusätzlichen Kosten, die bei Straßenbaumaßnahmen durch die Leitungen entstehen.
Eine Rolle spielen aber auch Abschlagszahlungen in Höhe und Häufigkeit, Endschaftsbestimmungen, Sonderkündigungsrechte, Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung des Netzbetriebes und weitere für die Gemeinde vorteilhafte vertragliche Regelungen.
Die Gemeinde Heringsdorf hat in den letzten Jahren Konzessionseinnahmen in Höhe von
1.141,68 € (für 2017), 537,45 € (für 2018), 2.300,81 € (für 2019), 2.334,66 € (für 2020) erzielt.
Es verwundert kaum, dass um die Auswahlkriterien, deren Gewichtung, den Bewertungs-maßstab und die Bewertung an sich erbitterte Streitigkeiten auch und insbesondere vor Obergerichten geführt werden.
Eine besondere Sorgfalt und ggf. fachanwaltliche Begleitung bei der Erstellung der Kriterien, deren Bepunktung und Gewichtung sowie der Bewertung der Angebote (vgl. dazu Ziffer 3 unten) ist daher bei diesem Verfahrensschritt – natürlich je nach Bewerberzahl – angeraten.
3. Das Auswahl- und Vergabeverfahren mit möglichen Rüge-, Präklusions- und Gerichtsverfahren
Das eigentliche Auswahlverfahren muss diskriminierungsfrei und transparent (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Stromnetz Heiligenhafen, KZR 65/12, Rz 43) sein.
Daraus ist herzuleiten, dass allein sachgerechte Gründe die Auswahlentscheidung tragen dürfen und die Gemeinde insbesondere auch das Gebot der Neutralität beachtet.
Auch sollten dabei aus Vorsichtsgründen Mitglieder der Gemeindevertretung, die in einem Näheverhältnis zu einem (kommunalen) Bieter stehen, vom Auswahlverfahren bzw. der Entscheidung ausgeschlossen sein (BGH, 28.1.2020, Gasnetz Leipzig, EnZR 99/18, Leitsätze 2 a bis 2c). Ansonsten müsste die Gemeinde beweisen, dass die Mitwirkung keinen Einfluss auf die Entscheidung hat, dieser Beweis ist regelmäßig nicht möglich. Es gelten die strengen Maßstäbe des Kommunalrechts (OLG Stuttgart, 5.1.2017, 2 U 66/16).
Die Festlegung der Auswahlkriterien, deren Gewichtung und die Bewertungsmethode sind die entscheidenden Weichenstellungen für das weitere Verfahren. Diese Kriterien bilden die Grundlage für die spätere Auswahlentscheidung und auch den rechtlichen Ansatzpunkt unterlegener Bieter bei Wettbewerbsverfahren.
Die Gemeinde Heringsdorf ist für Energieversorgungsunternehmen ein durchaus interessanter Vertragspartner, dafür spielen auch Gründe der Zentralität der Endkunden eine gewisse Rolle. Es ist daher mit mehreren Interessenten zu rechnen.
Ob es zu Rüge-, Präklusions- oder Gerichtsverfahren kommt, muss abgewartet werden.
4. Der Abschluss des Konzessionsvertrages mit Vereinbarungen über die an die Gemeinde zu zahlenden Konzessionsabgaben (§ 48 EnWG) mit max. 20-jähriger Laufzeit (§ 46 Abs. 2 EnWG)
Dieser (letzte) Verfahrensschritt und eigentliche Vertragsabschluss ist an sich unproblematisch und unterliegt im Wesentlichen den Regeln des Gemeinderechts für verpflichtende Erklärungen der Gemeinde bzw. denen des Vertragspartners und Konzessionsnehmers.
Beschlussvorschlag:
- Die Gemeinde Heringsdorf vergibt einen Wegenutzungsvertrag für ein Erdgasnetz.
- Es ist ein Auswahlverfahren nach § 46 des Energiewirtschaftsgesetztes durchzuführen, die dazu notwendige Bekanntmachung soll zeitnah erfolgen.
- Die Verwaltung wird gebeten, das Auswahlverfahren als verfahrensleitende Stelle durchzuführen und der Gemeindevertretung abschließend einen Vergabevorschlag zu unterbreiten.
Anlage/n:
keine